Fensterbrettldorf

Hildegard Hemmerling-Vogel, Auerbach/Erzgeb.
(Erzgeb. Heimatblätter, Nr. 6/1987)

Das Festerbrettldorf

Es gab einmal einen jungen Lehrer, den es 1911 nach Auerbach im Erzgebirge verschlug. Voll das Herz mit Tatendrang für die erzgebirgische Volkskunst und ihr Brauchtum. Augen und Ohren offen für alles typisch Erzgebigische.

Jahr 1911
Da wurde die Kleinbahn in Auerbach eingeweiht. Ein technisches Ungeheuer mit viel Lärm in der Stille der lieblichen Dörfer.
Etwas völlig Unromantisches!
Hier jedenfalls entdeckte der junge Lehrer Hellmuth Vogel in der Adventszeit 1911 ein Fenster, in dem ein Brett befestigt war,
auf dem Lichter zwischen Moospolstern brannten. Darauf standen kleine Figuren. Ja, auch eine Jagd war dabei mit allem Waldgetier.

Das schmale Fensterbrett war niedrig und er konnte sich das kleine Wunder in aller Beschaulichkeit von außen ansehen.
Dann saß er mit der alten Frau in ihrer Stube. "Was haben Sie denn da für ein schönes Fenster hergerichtet?"
"Ja", erzählt sie, "das gab es führer hier sehr häufig in Auerbach. Meins ist das letzte. Es heißt eben nur so das "Fensterbrettl",
was zur Weihnachtszeit überall hergerichtet wurde.
So, wie Sie das hier sehen." Zuerst mag es wohl nur Moos gewesen sein, mum damit das Eindringen von Kälte und Sturm zu verhindern.

Das war nun die schönste Entdeckung für unseren jungen Lehrer. Dem wurde nachgegangen. Diesen alten Brauch wollte er
wieder neu beleben. Es war ihm klar: Der Erzgebirger trug sein Weihnachten auch auf die Straße, auch zum lieben Nachbarn.
Das Dorf war eine einzige große Weihnachtsstube.

Als Lehrer hatte er es leicht, die Kinder dafür zu begeistern. Es wurden gleich "Fensterbrettl" gebaut. Die Väter fingen auch damit an.
Und schön brannten im nächsten Jahr hier und da die Lichter am Fenster, besetzt mit den selbstgeschnitzten Männlein und Weiblein.
Auch Häuser wurden gebastelt. Im Wald wurde Heidelbeerkraut für die "Bäume" geholt. Auch kamen mit der Zeit gedrehte Figuren
aus Seiffen ins Haus, gekauft im "Hackebeil-Laden", wo es das ganze bunte Weihnachtsglück zu kaufen gab.
Ein Räuchertürke kostete damals 10 Pfennige! Beliebt war auch die Jagdszenerie aus Massefiguren.

Es wurden jedes Jahr mehr "Fensterbrettl". Es war eine Freude! Dann kam der Krieg, der erste Weltkrieg und der Eifer schwand.
Hellmuth Vogel kehrte 1928 nach Auerbach zurück.
Es leuchteten nur noch drei Fensterbrettl. Er stand wieder vor seiner Schuljugend und erneut wurde für diesen fast verlorenen Brauch
geworben.
Siehe da, diesmal ging es viel rascher mit der Verbreitung. Die Schuljungen bekamen die Aufgabe, die Fensterbrettl zu zählen. 1940 waren es 1000! Auerbach wurde von der Presse zum "Fensterbrettl" ernannt, Auerbach wurde zur vorweihnachtlichen Attraktion!

Wieder aber war Krieg und die Verdunklungsbefehle machten diesem schönen friedlichen Brauch ein Ende.
Würde er je wieder aufleuchten?
Welche Überraschung! Kaum durfte die Welt aufatmen, kamen auch die Auerbacher mit ihren Fensterbrettln ans Licht. Im wahrsten
Sinne des Wortes.
Inzwischen finden die Nachbarorte auch an. Bescheiden zwar und nur dort, wo eine Auerbacherin oder ein Auerbacher hin geheiratet hatten. Man sah also: Hier wohnt ein Auerbacher - sei es in Gornsdorf oder in Hormersdorf ...
Bald genügte das nicht mehr. Es began ein Wetteifern unter den Ortschaften. Dazu kam die Bastelleidenschaft des Erzgebirgers, zusätzlich angeregt durch die inzwischen verbreiteten elektrischen Miniaturanlagen.

Das Moospolster und die hölzerne Kleinwelt verschwand leider fast ganz. Geblieben ist das Licht. Eine große feierliche Aussage der Gemeinsamkeit in der dunkelsten Zeit des Jahres. Selbst die Städtchen und die Großstadt  beteiligten sich nun daran, sind doch viele Erzgebirger in die Stadt gezogen, die ihren liebgewordenen Brauch mitgenommen haben.
Fahre ich nun heute durch das strahlende weihnachtliche Erzgebirge, so grüßen mich heimlich und vertraut die Augen des längst von uns geschiedenen Lehrers Hellmuth Vogel aus Auerbach.

Und so hat sich die Tradition bis heute fortgesetzt ...

 

 

 

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